„Vom Buchstaben zum Bildersturm" - Filme lesen lernen mit Thomas Binotto
„Ein Filmleser liest zwischen den Bildern eines Films, genauso wie man zwischen den Zeilen eines Buches lesen muss, um dessen Botschaft zu verstehen". Thomas Binotto stellte so den Schülerinnen und Schülern des Goethe-Gymnasiums seinen Beruf vor - den Beruf des Filmlesers. Eigentlich ist er ja Journalist, als langjähriger Filmkritiker und Buchautor über Themen rund um das Kino hat Binotto jedoch seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Eine Leidenschaft, die von der ersten Minute auf die Zuhörer überspringt und ungeahnte Einblicke in die Welt des Films gewährt. Bereits beim ersten Besuch am Goethe im Jahr 2010, als er aus seinem Filmführer „Mach's noch einmal Charlie" las, war die Begeisterung bei den Schülern groß.
Am 12. Februar besuchte er auf Einladung von StD Peter Siebauer nach sechs Jahren wieder unsere Schule. Diesmal kamen die Goethe-Schüler in den Genuss von drei multimedial präsentierten Vorträgen, die gespickt waren mit fesselnden Filmbeispielen und Insider-Wissen über die Erzähltechniken von Filmen. Genauso wie ein Roman oder eine Erzählung spezifische Erzählmuster und Erzähltechniken verwendet, um den Leser in eine andere Welt zu versetzen, tut dies auch der Film. Bei seinem ersten Vortrag vor Schülern der Oberstufe präsentierte Binotto das Thema „Literaturverfilmungen". „Den Fluch besiegen" - so nannte Binotto die Herausforderung für jeden Regisseur, eine Buchvorlage adäquat umzusetzen. Wie dies mit Filmtechniken wie Verdichten, Überfülle, Blickwinkel, Leerstellen oder Tonschnitt gelöst wird, demonstrierte Binotto beispielsweise höchst eindrucksvoll an Text-Film-Ausschnitten der „Herr der Ringe" Adaption: 15 Buchseiten mit dichtester Handlung wurden auf drei Minuten Film packend umgesetzt. Bei „Harry Potter" durften die Schüler dann selbst herausfinden mit welchen Mitteln die sprachliche Magie von Rowlings Roman im Film erzeugt wird und zwar an der Stelle, als Harry zum ersten Mal die Winkelgasse betritt. Hier formulierten die Schüler selbst, wie Filmmusik, Kameraführung, Produktionsdesign und Schnitt als "Wow- Effekt" ihre Wirkung entfalten - Magie eben! Beim abschließenden Vergleich von zwei völlig unterschiedlichen Verfilmungen der Dürrenmatt Erzählung „Das Versprechen", konnte man angeleitete von Binottos „Filmleseschule" die Szenen am Schluss tatsächlich regelrecht „lesen". So blieb nach eineinhalb Stunden intensivem Schauen nur das Bedauern, nicht noch weiter zuhören zu können. Die kommenden zwei Schulstunden waren jedoch für die Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe reserviert. Unter dem Vortragstitel „Keine(r) von uns - jugendliche Außenseiter im Film" präsentierte Thomas Binotto Filme, in denen Außenseiter im Mittelpunkt stehen. Warum werden Jugendliche von Gleichaltrigen an den Rand gedrängt, verstoßen und gedemütigt? Mit welchen Strategien überstehen sie die Ausgrenzung? Wie lassen sich Grenzen öffnen? Und wann werden aus Zuschauern mitfühlende Mitmenschen? Diese Fragen beantwortete Binotto mit Filmbeispielen aus über 50 Jahren Filmgeschichte. Die oft als Popcornkino unterschätzte „Spiderman"- Reihe war hier, wie auch im dritten Vortrag vor der Unterstufe, wichtiger Bezugspunkt Binottos. Abschließend untersuchte der Filmkenner nämlich den „Fluch ein Held zu sein - Superhelden von Herkules bis Spiderman". Die Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen sahen als Einstieg eine Zusammenschau von geschickt zusammengeschnittenen Einspielfilmen, in denen ein Superheld bzw. -heldin im Mittelpunkt steht: Herkules, James Bond, Winnetou, Tarzan, Achilles, Siegfried, Robin Hood, Lara Croft oder auch Pippi Langstrumpf. Beeindruckend zeigte Binotto, dass man Filme ganz ähnlich wie gedruckte Literatur untersuchen kann, indem man den Aufbau analysiert, Schlüsselszenen identifiziert, Leitmotive und Symbolik ausfindig macht oder typischen erzählerischen Mustern nachspürt, die sich immer wieder finden lassen. So wird die Artussage zum Vorläufer von „Star Wars" oder eben auch Siegfried ein Urahn von Spiderman. Auch bei diesem, ganz auf die Sehgewohnheiten der Unterstufe zugeschnittenem, Vortrag verging die Zeit leider viel zu rasch. Den neue Blick auf Filme und ihre dramaturgische Grundregeln nehmen jedoch sicher ganz viele beim nächsten Kinobesuch mit. Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht wieder sechs Jahre dauert, bis Thomas Binotto den Goethe-Schülern neue, ungeahnte Perspektiven eröffnet mit einer Reise durch die faszinierende Welt des Films.