Ob unsere Schüler überhaupt ermessen könnten, wen sie da leibhaftig vor sich hätten, fragte sich der MZ-Reporter, der aus seiner eigenen Begeisterung über Peter Kurzeck kein Geheimnis machte. Tatsächlich gehört der Autor, den wir am 19. April 2012 erleben konnten, zu den ungewöhnlichsten und bedeutendsten Erzählern unserer Zeit - wobei die Doppeldeutigkeit dieser Formulierung ihre volle Berechtigung hat: Kurzeck erzählt nicht nur IN unserer Zeit, er erzählt unsere Zeit - und die, aus der sie erwächst.


Die Veranstaltung mit Peter Kurzeck wurde für die über 150 Schüler aus der 9. bis 11. Jahrgangsstufe dieses Mal vor allem im Fach Geschichte vorbereitet. Der Grund dafür liegt darin, dass Kurzecks schriftstellerisches Hauptwerk sich zur Aufgabe macht, "das alte Jahrhundert" festzuhalten. In einer unverkennbaren, unglaublich musikalischen Sprache, die an das mündliche Erzählen erinnert, lassen die Bücher den Leser eintauchen in die Zeit von 1946 bis etwa 1984, deren Ereignisse, Lebensgefühle und Denkweisen Kurzecks Werk umkreist.

Mit drei Jahren wurde der in Böhmen geborene Peter Kurzeck 1946 vertrieben. Die Anweisung: Haus putzen, Betten beziehen, Treffpunkt am Bahnhof. Zuwiderhandelnde werden erschossen. Die Dramatik der Ereignisse wird dem Dreijährigen zunächst vor allem über die Angst der Erwachsenen spürbar. Das erstaunliche Erinnerungsvermögen des Autors führt uns nicht nur die Fakten vor, sondern macht gleichzeitig die Sicht- und Erlebnisweise des kleinen Jungen greifbar, der immer wieder an den Rand der Erschöpfung gerät, aber auch das Abenteuerliche der Situation und die Schönheit von Lichtreflexen im Sammellager mit großer Neugier beobachtet und sich vor den Angriffen eines Hahnes fürchtet. An den Anblick von toten Pferden und beim Transport dann auch Menschen gewöhnt das Kind sich nach vergeblichen, kindlich-magischen Wiederbelebungsversuchen eigentümlich schnell und übernimmt die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der die Erwachsenen die Situation umgehen.

Nichts wird beschönigt: Wir lernen den Hunger kennen, den erlebten Hass, die unglaubliche Zerstörung, die in Städten praktisch ohne erhalten gebliebene Straßen die Flüchtlinge empfängt. Aber Peter Kurzeck spricht ruhig und strahlt eine große Versöhntheit aus. Ein heute mit ihm befreundeter tschechischer Schriftstellerkollege ist "an Kurzecks Stelle" in Tachau weiter aufgewachsen. Das Haus, das der Staat zur Miete oder für ca. 5 Monatsmieten zum Kauf angeboten hatte, wollte dessen Vater nicht so billig kaufen. Er war Maurer und wusste, welche Arbeit in so einem Haus steckt - so war ihm das Angebot unanständig erschienen.

Befragt nach seinem jetzigen Verhältnis zur tschechischen Bevölkerung, erzählt Kurzeck, dass es lange ja nicht möglich gewesen sei, über die Vertreibung zu reden. Jetzt werde er bei Lesungen in Tschechien gerade von jungen Menschen nach seinen Erinnerungen befragt. Und in den Männern dort findet er die Erinnerung an seinen eigenen Vater wieder, in den Gesichtern, in den Gesten. Eine Geschichte voller Verstrickungen in Leid und Unrecht findet so allmählich zu einem versöhnlichen Ende.

Ab Herbst 2012 sind Bücher von Peter Kurzeck wieder als Taschenbücher erhältlich. Bis dahin gibt es sie nur beim kleinen, tapferen Stroemfeld-Verlag.

Wer im Internet Informationen, Rezensionen und Filmbeiträge sucht, wird leicht fündig. Einige Empfehlungen:

Filme auf youtube:

Peter Kurzeck diktiert seinen Roman "Vorabend"

Lesung aus "Vorabend" im Paschen-Literatursalon

Artikel:

Interview auf Faust-Kultur.de

DIE ZEIT  über Peter Kurzeck

FAZ-Artikel über Kurzeck

einige Rezensionen zum "Vorabend":

DIE ZEIT

Der Spiegel

Deutschlandradio Kultur