Botanische Exkursion der Naturwissenschaftlichen Seminaredolomiten-fingerkraut

„ Warum soll man schützen, was keiner mehr kennt ? "


  Mit dieser provozierenden Frage drückt der Zoologe Prof. Horst Kurt Schminke ebenso drastisch wie treffend die Befürchtung aus, dass unsere Gesellschaft den Artenschwund bei Tieren, aber auch bei Pflanzen gleichgültig hinnimmt, ja ihn nicht einmal bemerkt, da ihr die aussterbenden Arten unbekannt sind und sie daher ohne Bedeutung erscheinen.
  Es ist nicht zu übersehen, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung ein eklatanter Man­gel an biologischer Arten- und Formenkenntnis besteht. Dieses Defizit zeigt sich auch im Biologieunterricht, der häufig an unzureichender Kennt­nis auch alltäglicher und weitverbreiteter Tier- und Pflanzenarten krankt. In wissenschaftlichen Untersuchungen von Fachdidaktikern, die mit Schülern verschiedener Jahrgangsstufen (8-16jährige; Schwerpunkt 8-12jährige) und Schularten durchgeführt wurden, zeigte sich, dass allgemein die Tierkenntnisse der Schüler  besser sind als ihre Pflanzenkenntnisse:
Von den prä­sentierten Tierarten wurden im Durchschnitt 60-80% erkannt, aber nur 30-55% der Pflanzenarten. Das Richtziel des gymnasialen Biologieunterrichts, dass die Schüler zumin­dest die wichtigsten und häufigsten Organismen oder Organismengruppen ihrer Umwelt mit Namen benennen können, trat in den letzten Jahrzehnten zugunsten der Vermittlung allgemeiner Lebensgesetzlichkeiten in den Hintergrund. Dabei ist es eine der ersten und ältesten Aufgaben des Biologieunterrichts, dass die Schüler zunächst einfach Pflanzen und Tiere ihrer Heimat benennen und damit kennen lernen. Was benannt werden kann, wurde gesehen und erkannt; mit dem Namen verbinden sich Aussehen, Gestalt, Lebensraum und vieles andere mehr.
In jüngster Zeit gewinnt infolge der Fortschritte der Gentechnik die industrielle Nutzung von Mikroorganismen im Rahmen sog. biotechnischer Verfahren eine ständig wachsende Bedeutung. Auch Genmanipulation  an Keimzellen wird möglich und neue Wirtschafts- und Industriezweige entstehen. Diese modernen biologischen Disziplinen rücken immer stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit und dementsprechend verlagern sich auch die Forschungsschwerpunkte an den Universitäten. Es ist nicht zu übersehen, dass  Forschung auf Gebieten der klassischen Systematik in Deutschland immer weniger betrieben wird und demzufolge auch die Ausbildung der Lehramtsstudenten auf dem Gebiet der Artenkenntnis  in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr in den Hintergrund trat zugunsten von Kompetenzen im Bereich der Molekularbiologie.
Auf  Fragen der  Tier- und Pflanzenbestigelber-alpenmohnmmung müsste allerdings im Biologiestudium wieder mehr Wert gelegt und die fachliche Vorbereitung der angehenden Lehrer diesbezüglich intensiviert werden, denn ein Biologielehrer, der nicht eine gewisse Artenkenntnis hat, kann leicht in Schwierig­keiten kommen. Nicht selten bringen Schüler Pflanzen oder Teile von Tieren mit (vor allem von Reisen) und wollen wissen, wie die Arten heißen. Bei Wanderungen fragen sie häufig von sich aus nach dem Namen und der Lebens­weise von Arten. Kein Lehrender kann auch nur einen Bruchteil aller Arten kennen, aber wenn er nie oder fast nie eine Art zu benen­nen weiß... ???  

Um den angehenden Lehrern besonders in Fragen der Pflanzenbestimmung entsprechende Sicherheit zu geben und die Kenntnis geschützter Pflanzen abzurunden, wurde eine darauf abgestimmte Studienreise in das Ausbildungsprogramm aufgenommen, die zugleich einen Abschluss des   zweijährigen Referendariats bilden soll. So bietet das Naturwissenschaftliche Seminar des Goethe-Gymnasiums auf freiwilliger Basis seit mehr als 15 Jahren eine Exkursion ins Dolomitengebiet rund um das Südtiroler Grödnertal an. Obwohl es weder für die jungen Leute noch für die begleitenden Seminarlehrer eine finanzielle Erstattung der Reisekosten gibt, wenn man einmal von der vergleichsweise geringen Steuerrückzahlung aufgrund von Werbungskosten absieht, wurde das Angebot von den Seminarteilnehmern bisher immer gerne angenommen und am Ende  positiv bewertet.

Besonders beeindruckend sind in fachlicher Hinsicht die Wanderungen durch Scharten im Dolomiten-Felsmassiv und quer durch die Seiser Alm. Die mit über 50 Quadratkilometern größte Alm der Alpen wurde mehrmals als das prächtigste Bergblumenparadies weit und breit bezeichnet. Die vielfältigen Bodenzusammensetzungen, der Wechsel zwischen sonnigen Kalkstandorten und Mooren, die von Lehmschichten abgedichtet werden, sowie die reiche Wasserführung in den Tälchen ergeben auf engstem Raum vielfältige ökologische Nischen für z. B.: Knabenkräuter, Enziane, Primeln, Anemonen, Leimkräuter, Fingerkräuter, besondere Glockenblumen, Alpenmohn, Läusekräuter und sogar Alpenglöckchen, die an kälteren, sonnengeschützten Standorten noch zu finden sind. In den feuchten Mulden und Mooren blühen Sumpf-Läusekräuter, Wollgräser, Mehlprimeln, Trollblumen und Sumpforchideen. Selbst eine noch so lange Pflanzenliste kann nicht den Eindruck der Blütenpracht vermitteln; man muss eben die Alm im Juni oder Juli selbst erlebt haben.

Insgesamt zeigten sich die jungen Leute aller Seminarjahrgänge hinsichtlich der Pflanzenbestimmung sehr interessiert und engagiert. Sie machten sich regelmäßig einen Sport daraus, die Listen von gefundenen Arten und zugehörigen Standorten aus den Exkursionen der Vorjahre noch auszuweiten und mit weiteren Neuentdeckungen zu bereichern. Auch dieses Jahr kamen bei der  Bestandsaufnahme der gefundenen Pflanzenarten  interessante Objekte hinzu, so dass die Liste der seltenen und geschützten Pflanzen (siehe  unten stehende Tabelle „Pflanzenliste") bereits etwa 100 Arten umfasst.

Die Ergebnisse der Tagesexkursionen werden in regelmäßigen, abendlichen Fachsitzungen, die in der Herberge stattfinden, aufgearbeitet. Dank moderner Medien lassen sich die Sammlungen von Digitalfotos der entdeckten Arten  über Beamerprojektionen in optisch ansprechender Weise auswerten. Man hat sich auch zum Ziel gesetzt verschiedene Bestimmungsschlüssel zu Gräsern, zu Heckenpflanzen u. ä. auf Schülertauglichkeit zu testen und die pflanzenkundlichen Vorträge werden noch ergänzt durch PowerPoint-Präsentationen  über Charakteristika von Pflanzenfamilien und auch über einen Streifzug durch die Geschichte Südtirols, denn ein Einblick in die Kultur des Gastlandes soll nicht ausgespart bleiben.

Das geschichtliche Referat stellt auch wichtige Querbezüge zu den Lebensumständen des „Mannes aus dem Eis" her, der in der damals sehr  rauen Lebenswelt ohne Kenntnis verschiedenster pflanzlicher Formen und ihrer Eigenschaften nicht hätte überleben können. So wird ein Besuch des Ötzi-Museums in Bozen vorbereitet, der auf dieser Basis  immer als gewinnbringend empfunden wurde.

Abschließend ergeht ein herzlicher Dank an den Seminarvorstand Herrn OStD Feldmeier, der diesem Exkursionsprojekt immer sehr aufgeschlossen gegenübersteht und die dienstliche Freistellung ermöglicht. Im Namen zukünftiger Seminare soll die Hoffnung zum Ausdruck kommen, dass die Tradition der botanischen Exkursion des naturwissenschaftlichen Seminars auch weiterhin die Unterstützung der Schulleitung findet.

 

 

Pflanzenliste: